Als die Generaldirektion der bayerischen Staatsbahn 1866 eine Verbindung des Hauptbahnhofs mit dem Ostbahnhof (damals „Haidhauser Bahnhof“) plante, musste im Münchner Süden eine Isarüberquerung gebaut werden. Die Arbeiten begannen 1868. Nach Stand der damaligen Bautechnik waren Eisengitter-Brückenkonstruktionen die tragfähigsten bewährten Brückenkonstruktionen wie schon bei der von 1851 bis 1857 gebauten Großhesseloher Brücke.
Eine kleine Sensation war die erstmals eingesetzte elektrische Beleuchtung auf der Baustelle, um auch bei Nacht arbeiten zu können. Die Braunauerbrücke war das letzte Glied der neuen Simbacher Strecke, die erst nach Fertigstellung dieser Brücke in Betrieb gehen konnte. Der Zeichungsausschnitt ist vom 11.Oktober 1868.
Aus dem offiziellen Baubericht
,,Zur möglichsten Beschleunigung der Fundationarbeiten erschien es geboten, dieselben ununterbrochen auch während der Nachtzeit fortzusetzen; besonders galt diess bezüglich des Spundwandschlagens, des Baugrubenaushubes und des Betonirens. Man war daher darauf bedacht, für eine möglichst vollkommene
Beleuchtung des Bauplatzes um so mehr Sorge zu tragen, als man beabsichtigte, die Fundation mehrerer Objekte der Brücke gleichzeitig in Angriff zu nehmen. Nach eingehenden Verhandlungen mit der Telegraphenbau-Anstalt Siemens & Halske in Berlin entschloss man sich zur Übernahme einer dynamo-elektrischen Maschine zur Erzeugung elektrischen Lichtes, welche genanntes Etablissement vor Kurzem gebaut und zur Anstellung von Versuchen in Rücksicht auf militärische Zwecke verwendet hatte.
Diese Maschine besteht aus zwei grossen, mit übersponnenem Kupferdraht
umwickelten Ankern, welche durch eine sechspferdige Locomobile mittels Treibriemen und Räderübersetzung in eine rotirende Bewegung mit 100 bis 150 Umdrehungen in der Minute der Hauptwelle oder 400 bis 600 der Anker versetzt werden. Inmitten der letzteren liegen mehrere Systeme krqftiger Magnete, zwischen deren Polen und bei Umwickelungen der beiden rotirenden Anker
Ströme entstehen, deren Richtung nach jeder halben Umdrehung wechselt.
Die aus den Windungen des einen Ankers kommenden Ströme werden durch einen Communicator gleichgerichtet und zur Verstärkung der Magnete verwendet, während die Ströme aus dem anderen Anker durch zwei mit Baumwolle besponnene und mit Wachs überzogene Kupferdrähte zur Lampe geführt werden. Die Lampe besteht aus einem parabolischen Spiegel von 0,5 m Durchmesser auf einem Stative mit Führungen zur Befestigung und Dirigirung zweier Kohlenspitzen, welche die Drahtleitungen in sich aufnehmen und an den in Folge des Stromwechsels sich stets gleichmässig abnützenden Spitzen das Licht erzeugen.
Die dynamo-elektrische Maschine wurde mit der Locomobile nahezu im Mittel der Brücke im Flussbette aufgestellt und über derselben in einem thurmartigen, etwa 12 m hohen Aufbaue die Lampe so situirt, dass sämmtliche Objecte damit beleuchtet werden konnten. Der Apparat wurde während der Fundation der lsarbrücke mit gutem Erfolge verwendet und gestattete die Fortsetzung der Arbeiten zur Nachtzeit an den Schlagwerken, bei dem Baugrubenaushube
und beim Betoniren. Nur in der Tiefe der Baugruben, wohin das Licht nicht drang, war es nothwendig, mit einigen Petroleumlampen nachzuhelfen …“
Aus der Bayerischen Architektenzeichnung 1871
Dieser Brückenbau schein in München ein beleibtes Ausflugsziel gewesen zu sein, wie die Zeitungen am 24.Oktober 1868 berichten. Es hätte sogar einen Sonderstand der Kochelbräu gegeben, um die Schaulustigen zu verköstigen.
Es gab damals sehr wenige Brücken über die Isar, die nächste Holzbrücke, die von Fuhrwerken befahren werden konnte, war die Reichenbachbrücke einen Kilometer flussabwärts. Daher war es nachvollziehbar, dass man bei der Braunauerbrücke auch an seitliche Fahrbahnen zum Anschluss Giesings zu München dachte, wie in dem Zeitungsartikel vom 21.Mai 1870 zu lesen ist.
Obwohl 1868 die Fotografie noch in den Kinderschuhen steckte, gibt es beeindruckende Bilder dieser Baustelle der Braunauerbrücke. Besonders interessant an dieser Aufnahme ist auch die Silhouette von dem damaligen Giesing an rechten Isarufer.
Aus dem Baubericht der Pfeilersetzung:
„Das grosse Fahrgerüste ganz aus Eisen construirt, bat
die Bewegung des Apparates in der Richtung der Baggerung zu vermitteln. Das selbe besteht im Wesentlichen aus zwei
doppelten Längsträgern von l l,67m Sprengweite, welche durch
Querträger mit einander verbunden sind und das kleine Fahrgerüste und mit diesem den ganzen Apparat tragen. An seiner schmäleren Seite ist es mit je 4 Laufrollen versehen, mittels
welcher es sich auf Schienen bewegt, die auf der Spundwand
und auf dem Kappenholz einer durch die Mitte der Pfeilerbaugrube laufenden Pfahlreihe aufgebracht sind. Das kleine
Fahrgerüste besteht gleichfalls aus zwei Längsträgern mit
Querverbindungen und trägt ein vollständiges Podium zur
Aufnahme der Apparate. Die Bewegung desselben geschieht
mittels Laufrollen in der Richtung normal zur Baggcrung.
An dem einen Ende des Podiums befinden sich zwei gussei crne
Ständer, welche zwei Baggerrutben tragen, die je nach der
Tiefe des Aushube verlängert werden können. Die Trommeln
an den beiden Enden führen eine Kette ohne Ende mit den
Baggerkübeln. Der Inhalt dieser aus Eisenblech gef rtigten,
mit starker Armirung ver ebenen Gefäs e beträgt o,o5•bm. Die
obere Kettentrommel steht mit einem Vorgelege in Verbindung,
welches durch eine Locomobile von 6 Pferdekräften getrieben
wird. Die Dirigirung der Baggermaschine dagegen geschieht
mittels einer auf dem Podium des kleinen Fahrgerüstes angebrachten Doppelwinde, von welcher eine Kette an die feststehende Spundwand Behufs Vorwärtsbewegung des ganzen Apparates und eine solche an die untere Kettentrommel Behufs
Hebens und Senkens der Baggerruthen führt. Um die Maschine
nach Ausführung einer Längenbaggerung wieder an das
entgegenge etzte Pfeilerende zurückzuführen , war noch eine
weitere Winde zunächst diesem auf einem fest tebenden Gerü,
te angebracht. Die Inbetriebsetzung des Apparates geschah,
wie schon oben bemerkt, durch eine Locomobile, welche ihren
Standpunct gleichfalls auf dem Podium des kleinen Fahrgerüstes
hatte.
Es war nun Aufgabe, die Baggerung der beiden Baugrubenhälften,
selbstverständlich unter Belassung eines Erdkörpers
in der Mittellinie Behufs Erhaltung der Pfahlwand für Unterstützung des grossen Fahrtgerüstes, durch die Kieslage und
so tief in die Sandschichte auszuführen, dass das Eintreiben
der Fangdammspundwände bis in den Flinz, die Ausbetonirung
der letzteren und die Trockenlegung der eigentlichen
Baugrube durch Auspumpen derselben möglich wurde.
Sofort nach Aufstellung der Baggermaschine wurde dieselbe daher in Betrieb gesetzt und geschah die Förderung sehr vortheilhaft, so lange sich dieselbe in der Kiesschichte bewegte. Die an den Kübeln angebrachten gestählten Zinken lockerten die groben Geschiebe und wurde das gehobene Material mittels einer angebrachten Rutsche rasch aus dem Rayon der Baugrube entfernt. Die Leistung ergab hierbei einschliesslich des für Verstellung etc. benöthigten Zeitaufwandes an einem Arbeitstage eine Förderung bis zu 150cbm , wobei die Kübel während des Ganges der Maschine in Zeiträumen von je 6 Secunden einander folgten. Die Bedienungsmannchaft bestand aus einem Führer der Baggermaschine, einem Führer der Locomobile, aus zwei Mann zur Bedienung der Doppelwinde, gleichzeitig mit der Function als Heizer betraut, ferner au zwei Mann an der Rutsche zur Entfernung des geförderten Materiales. Der Kohlenverbrauch für die Locomobile betrug per Arbeittag 10 bis 15 ZollCentner. Es mag hier sofort bemerkt werden, dass eine vollständige Versetzung der Baggermaschine sammt kleinem und grossem Fahrgerüst immerhin einen Zeitraum von 8 bis 10 Tagen bei genügender Mannschaft, eine Verlängerung der Baggerruthen einen solchen von 2 Tagen und 8 fleissige Arbeiter erforderte.
Aus der Bayerischen Architektenzeichnung 1871
Die Konstruktionszeichnung der Braunauerbrücke aus der Architekturzeitung von 1871. Links sieht man die Überbrückung der Staubstraße und des großen Stadtbaches.
Die fertige Braunauer Brücke. Am 12. April 1871 verkehrte ein erster Probezug von München nach Neuötting.
Der Fahrplan des ersten Betriebsjahrs soll hier auch nicht fehlen.
Die alte Kastenbrücke ist heute nicht mehr in Betrieb. im Krieg zwar nur leicht beschädigt, ist sie doch über die Jahrzehnte etwas gerostet und so hat man nur den nördlichen Teil der Brücke erhalten, allerdings ohne Gleise, und südlich davon die Doppelgleise leicht verschwenkt auf eine neue Brücke gelegt. Unser Bild von 1954 zeigt 1954 eine Kommission, die einen Ersatz für die damals fast 90 Jahre alte Brücke prüft. Schließlich hat man sich darauf geeinigt, den nördlichen Teil der Brücke zu erhalten, das südliche Gleis zu entfernen mit der Brückenkonstruktion und südlich neben die verbliebene Kastenbrücke eine tragfähigere Doppelgleis-Konstruktion zu bauen.
Zum Setzen der Pfeiler-Erweiterung im Isarbett nutze man das Winter-Niedrigwasser und das Bild vom 1.Februar 1957 zeigt noch die alte Brücke.
Im Mai 1957 wurde dann der südliche Brückenteil verschoben und abgebaut und durch die neue Brückenkonstruktion ersetzt.
Die neue Doppelbrücke ist mit 3 Einfeldträger/Vollwand-Durchlaufträger konstruiert. Die Brücke hat eine Spannweite von 150,44 m, jeder Brückenteil also eine Spannweite von 48,40 m. Die Breite beträgt 16,00 m. Die Tragfähigkeit wird mit 60 t angegeben.
Wenn man von der Seite nicht genau hinschaut, kann man eigentlich nicht erkennen, dass die heutige Streckenführung gar nicht durch die Gitterbrücke von 1870 führt.
Bitte nicht nachmachen: im Juli 2012 machte ich einen Besuch bei der Braunauer Brücke, nicht ganz ungefährlich. Das verlassene Gleis wurde noch einige Jahre als Rangiergleis zum Schlachthof verwendet.
Am 9.12.2022 fährt der Sonderzug mit der großen Dampflok über die Brauner Brücke, – fast wie damals….
Danke an Klaus Werner für dieses Dokument!
Woher wissen wir das alles?
München und Bayern verfügt über ein gut organisiertes Netz aus Archiven. Dort findet man all die wundervollen Originalakten aus dem 19.Jahrhundert. Diese Akten sind weder online recherchierbar noch auffindbar. Dazu muss man sich ein paar Tage im Repetitorien-Zimmer im Bayerischen Hauptstaatsarchiv aufhalten und viele Repetitorien-Übersichtsbücher durchforsten, die wiederum auf Abgabebücher hinweisen und dann kann man, wenn man alte Namen, Bezeichnungen und Streckennummern rausgefunden hat, die Ordner mit den interessanten Daten etwas einkreisen.
Mit Glück kommt man dann mit Hilfe unseres Ansprechpartners im BayHStA Herrn Dr. Seidl auf die entsprechenden Ordner, die dann auf mehreren tausend Seiten die Vorgänge in mehr oder weniger gut lesbaren Sütterlin/Kurrent breittreten.
So können wir hier ausschließlich aus den Originaldokumenten dieser Zeit zitieren. Aber das setzt jahrelange Recherche voraus.