1876 – 1900: Die Pferdebahn und der Beginn der „Elektrischen“
Schon am 21. Oktober 1876 konnte die Pferdetram auf der 2.800 Meter langen West-Ost-Linie zwischen dem Burgfrieden an der Nymphenburger-/Maillingerstraße und dem Promenadeplatz ihren Betrieb aufnehmen. Eine Fahrt dauerte etwa 20 Minuten, wobei die Pferdebahn eine Reisegeschwindigkeit von zwei bis drei Stundenkilometern erreichte. Gefahren wurde zwischen 7:30 Uhr und 21:30 Uhr im 10-Minuten-Takt, zu bestimmten Zeiten auch alle fünf Minuten. Otlet hatte seinen Betrieb auf dieser sogenannten „Weißen Linie“ mit acht geschlossenen, ca. sechs Meter langen, zweiachsigen Wagen, die von der Fa. Henry Plas in Curagham bei Brüssel gebaut worden waren, aufgenommen. Sie boten Platz für 24 Fahrgäste, davon 12 auf Sitzplätzen, und trugen eine weiß-blaue Lackierung mit der Aufschrift „Münchener Tramway Ed. Otlet“.
Das erste Depot mit seinen Stallungen, die für 90 Pferde ausgelegt waren, sowie der Werkstatt, Hufschmiede und Wohnungen, die im zweistöckigen Hauptgebäude untergebracht waren und der hölzernen Wagenhalle für 40 Wagen, die mittels einer Schiebebühne auf die Hallengleise verteilt wurden, befand sich an der Endstation Maillingerstraße auf einer Fläche von 33 Ar. Die Büros der Gesellschaft befanden sich im Café Metropol am Frauenplatz, sie folgten erst 1877 ins Depot. Die Pferde mussten etwa alle zwei Stunden ausgewechselt werden, so dass pro Tag und Wagen etwa sechs Pferde benötigt wurden. Im ersten Betriebsjahr besaß Otlet 48 Pferde.
Für die Fahrpreisgestaltung hatte Otlet einen Teilstreckentarif errichtet, wonach die Strecke in ca. 1000 Meter lange Sektionen unterteilt war. Der Mindestfahrpreis betrug 10 Pfennig, wurden weitere Sektionsgrenzen passiert, mussten jeweils fünf Pfennig mehr bezahlt werden. Darüber hinaus hielten die Wagen nicht nur an den vorgesehenen Haltestellen, sondern auf Wunsch der Fahrgäste auch sonst überall, oft an größeren Wirtshäusern. Dies wurde erst 1883 zur Schonung der Pferde untersagt. Im ersten Betriebsjahr beförderte die „Weiße Linie“ rund 390.000 Fahrgäste.
Das Liniennetz von Pferdebahn und Pferdeomnibus 1876.
- rote Linie = Pferbahn
- gestrichelt = Tramcar
Bald folgten Netzerweiterungen, wie die Nord-Süd-Strecke von Schwabing bis zum Fuße der Theresienhöhe. Diese Grundstrecken wurden in den 1880er Jahren weiter ausgebaut, um der Entwicklung der wachsenden Landeshauptstadt Rechnung zu tragen. Aus diesem Grunde wurden bereits frühzeitig die damaligen Randgebiete, wie Ostbahnhof, Giesing, Neuhausen und Sendling an das Trambahnnetz angeschlossen. Ebenso waren auch die stadtnahen Ausflugsgebiete erschlossen.
Bis zum Februar 1878 war Otlet vertragsgemäß Alleinbesitzer der Münchner Pferdebahn, doch benötigte er zum Betrieb französisches Kapital. Am 25. April 1878 gründete er die Société Anonyme des Tramways de Munich mit Sitz in Brüssel. Im Aufsichtsrat saßen neben Otlet die Pariser Unternehmer Dervieu und Guillaumeron, die ein Aktienkapital von fünf Millionen Franc beisteuerten. Die Münchner Geschäfte leitete Enrico Treize-Dreys, der jedoch die deutsche Sprache kaum beherrschte. Der Münchner Magistrat billigte die neue Firmenkonstellation nicht, es kam zu Streitigkeiten und Klagen. Gerichtsvollzieher versuchten die Tageseinnahmen zu pfänden, aber gewandte Schaffner brachten diese fluchtartig in Wohnungsverstecken in Sicherheit. Treize-Dreys wurde 1879 durch einen lothringischen Franzosen, Msr. Cambier, ersetzt, diesem folgte im Mai 1880 Franz Heinen, der die Geschäfte bis 1882 führte. Im Januar 1882 versagte der Magistrat der belgisch-französischen Firma aufgrund vieler Differenzen die Konzession und erzwang die Neugründung einer deutschen Gesellschaft.
Am 25. August 1882 ging die Geschäftsführung der Pferdebahn von Otlet an die neugegründete Münchner Trambahn Aktiengesellschaft (MTAG) über, ihr stand als Direktor der italienische Graf Ercole Graziadei vor. Ihm folgte im Jahre 1898 Ing. Georg Hippe, der bereits seit 1877 bei der Pferdebahn angestellt war. Aufsichtsratsvorsitzender war der Kaufmann Johann Michael Gerdeissen, ihm folgte 1885 der Justizrat Theodor Riegel. Das Kapital der Aktiengesellschaft betrug anfangs 2 Millionen Mark und stieg bis 1890 auf 4 Millionen Mark. Die Stadt sicherte sich einen gestuften Gewinnanteil je nach Bruttoeinnahmen von 2% bis 3%. Die MTAG erhielt ihre Betriebskonzession für 25 Jahre und wurde dann auch zum 1. Januar 1907 aufgelöst.
Nach Gründung der MTAG wurden die Aufträge für neue Wagen an deutsche Firmen vergeben. Auf den blau lackierten Streifen zwischen dem Dach und den Fenstern malte man in roter Farbe „Münchener Trambahn“. Auf den Seitenwänden war auf einer Seite das Münchner-Kindl-Wappen, auf der anderen Seite Bayerns weiß-blaues Rautenwappen aufgemalt. Zum Unterscheiden der einzelnen Linien waren Richtungsschilder auf den Dächern der Pferdebahnwagen montiert. Jeder Linie war eine andere Farbe zugeteilt. Ein im Jahre 1887 vorgenommener Versuch, eine schwefelgelbe, schwarz abgesetzte Lackierung entsprechend den Münchner Stadtfarben einzuführen, scheiterte am lautstarken Protest der Bürger. Bis zum Jahre 1895 beschaffte man insgesamt 150 geschlossene Wagen, zwei halboffene Wagen sowie 137 offene Sommerwagen. Ein Einzelgänger blieb der im Jahre 1878 beschaffte doppelstöckige „Imperialwagen“, dessen Benutzung des Oberdecks „Frauenspersonen aus sittlichen Gründen“ polizeilich untersagt war. Der höchste Bestand an Pferden war 1894 mit 797 Stück erreicht.
Am 9. Juni 1883 eröffnete die MTAG die erste Dampftrambahn Süddeutschlands vom Stiglmaierplatz bis nach Nymphenburg. Diese Linie war besonders an den Wochenenden stark frequentiert. Für diese Linie lieferte die Fa. Krauß & Co. Insgesamt sieben Dampflokomotiven, die mit maximal fünf Wagen behängt werden durften. Dafür waren 13 geschlossene und 20 offene Anhänger gekauft worden.
Die Anfänge einer elektrischen Straßenbahn in München datieren vom 1. Juli 1886: An diesem Tag legte der erste Zug der Ungererbahn die etwa ein Kilometer lange Strecke zwischen dem Schwabinger Großwirt, nicht allzu weit entfernt von der Endhaltestelle der Pferdebahn, und dem „Schwabinger Würmbad“ zurück. Diese Schienenbahn, übrigens die dritte elektrische Bahn der Welt – war als eine private Zubringerbahn von dem Badbesitzer und Ingenieur August Ungerer eingerichtet worden, um die Gäste in sein „Ungererbad“ zu transportieren. Sie wurde dann 1895 kurioserweise zunächst von der Pferdebahn ersetzt.
Um den wachsenden innerstädtischen Verkehr zu bewerkstelligen, verkehrten die Wagen der Pferdebahn ab 16. Juni 1888 auf einer „Altstadtdurchquerungslinie“, der sog. „Klassischen Route“ vom Hauptbahnhof über Stachus, Marienplatz und Tal zum Isartorplatz. Auch eröffnete die MTAG 1890 eine erste Ringlinie, die den Innenring Hauptbahnhof – Stachus – Sendlinger-Tor-Platz – Isartorplatz – Max-II-Denkmal – Galeriestraße – Ludwigstraße – Theresienstraße – Augustenstraße – Hauptbahnhof bediente. 1892 betrug die Streckenlänge des Betriebsnetzes der Münchner Pferde- und Dampftrambahnen bereits mehr als 42 Kilometer.
Es gab aber auch Schwierigkeiten: Die finanziellen Möglichkeiten der MTAG, die nur eine bis zum Jahr 1907 laufende Konzessionierung besaß, bewegten sich in einem eng gesteckten Rahmen. Einige Vororte, wie z.B. Bogenhausen und Thalkirchen, die noch nicht an das Liniennetz angeschlossen waren, beantragten daher zur schnelleren Verkehrsanbindung eigne Unternehmen, die in Konkurrenz zur MTAG treten sollten. Diese Pläne durchkreuzte allerdings die Stadtgemeinde München, die nun ihrerseits mit dem „Betriebsvertag vom 17. Februar 1892“ die MTAG unter ihre Kontrolle brachte und diese zwang, auf Gemeindekosten neue Linien zu bauen. So kam es noch im selben Jahr zum Bau der zwei „Gemeindestrecken“: Färbergraben – Isartalbahnhof und Hauptbahnhof – Giesing. Zu deren Aufsicht wurde ein eigener Verwaltungsrat eingesetzt, aus dem sich bald der „Trambahn-Ausschuß“ bei den Gemeindekollegien herausbildete, der zum Kontrollorgan des Gesamtbetriebes wurde.
Von der ersten Fahrt der Ungererbahn bis zur Fortsetzung der Elektrifizierung vergingen noch neun Jahre. Erst 1894 erteilte der Magistrat der Stadt die Zustimmung zur Elektrifizierung der gemeindlichen Linien. Am 23. Juni 1895 wurde der gemischte Betrieb auf der ersten Strecke Färbergraben – Isartalbahnhof aufgenommen, d.h. zwischen den Pferdebahnen verkehrten die ersten vier elektrischen Wagen. Wenige Tage später schon erfolgte die Umstellung auf den vollelektrischen Betrieb und das Anhängen eines unbespannten Pferdebahnwagens als Anhängerwagen. Noch im gleichen Jahr wurde auch die zweite gemeindliche Linie vom Hauptbahnhof nach Giesing elektrifiziert.
Von den ab 1895 zur Elektrifizierung der Münchner Tram beschafften kleinen zweiachsigen Wagen wurden bis 1898 insgesamt 32 Wagen in sechs Serien beschafft. Hersteller waren die Union-Elektricitäts-Gesellschaft, Schuckert & Co. und die Breslauer Waggonfabrik; ein Einzelstück entstand bei Kummer in Niedersedlitz. Zunächst wurden die Wagen von 1-32 nummeriert und erhielten ab 1908 dann die Wagennummern ab 351. Die recht kleinen Wagen, die nur 28 Fahrgästen Platz boten (davon 16 Sitzplätze) erwiesen sich recht schnell als zu klein und die Verkehrsbetriebe entschieden sich gegen eine weitere Bestellung der Wagen und für die Beschaffung des vierachsigen Typs A. Nach diversen Umbauten wurden die ersten Wagen ab 1905 zu Arbeits- und auch Postwagen umgebaut, bevor ab 1921 ein weiterer Teil zu Beiwagen umgebaut wurde; leider existiert heute kein Wagen dieser Type mehr.
Parallel zur Elektrifizierung erfolgte der weitere Streckenausbau der Pferdebahnlinien, um den wachsenden Anforderungen an den öffentlichen Personentransport nachzukommen. Dennoch kam auch die Elektrifizierung voran: Die Umstellung des gesamten Liniennetzes auf elektrischen Betrieb war innerhalb von fünf Jahren abgeschlossen. Die letzte Dampftrambahn verkehrte am 15. Juli 1900, die letzte Pferdebahn am 1. November 1900. Im Rahmen der Umstellungsarbeiten wurden jedoch nicht alle Linien von der „Elektrischen“ übernommen, sondern auch einige kurze Teilstrecken eingestellt. Da auf „allerhöchste Anordnung“ des Prinzregenten Luitpold eine Oberleitung in der Brienner Straße und auf dem Odeonsplatz unerwünscht war, verkehrten von 1900 bis 1906 auf diesem Teilstück die Trambahnzüge mit Akku-Lok-Vorspann.
Alte Postkarte zur Einstellung der Pferdetram 1900
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Autor: Klaus Onnich FMTM eV., Leiter Fahrdienst Bus Ost und stv. Betriebsleiter BO Kraft der Stadtwerke München GmbH