Dieser Verkehrsweg an der 1870 in Betrieb genommenen Verbindungsbahn vom Hauptbahnhof zum Ostbahnhof und weiter nach Simbach am Inn, die sogenannte „Simbacher Strecke“ oder auch „Braunauer Strecke“ in den damaligen Dokumenten, wurde weitgehend mit Bahnübergängen gebaut, die beim damaligen Fuhrwerks und Personenverkehr als durchaus ausreichend angesehen wurden. Allerding mit fortschreitender technischer und Bevölkerungs-Entwicklung wurden diese Bahnübergänge an den Zufahrtsstraßen zu München immer mehr zum Anlass für Beschwerden. 1882 wurde schon eine Unterfahrt bei der Lindwurmstraße geschaffen, 1891 an der Berg-am-Laim-Straße, nun wurde eine Unterführung oder Überführung an der Rosenheimerstraße gefordert. Jetzt werden 1892 die Forderung lauter.
In den „Münchner neuesten Nachrichten“ vom 30.Dezember 1892 erscheint ein Leserbrief.
Diesem Plan von 24.Juli 1893 sind heftige Diskussionen zwischen Magistrat und Staatsbahn vorausgegangen, die gut dokumentiert vorhanden sind und von denen wir hier berichten.
Am 29.November 1890 wird bereits in verschiedenen Schreiben auf die erheblichen Gefahren des Bahnübergangs an der Rosenheimerstraße hingewiesen. Besonders problematisch ist dabei nicht nur der planmäßige Zugverkehr mit 46 Zügen täglich, sondern besonders der Rangierverkehr.
Der nebenstehende Brief vom 17.Dezember 1890 bringt einige interessante Zahlen, die am Bahnübergang vor Ort zusammengetragen wurden: am 13.Dezember 1890 zählte der Autor von 6 Uhr früh bis 6 Uhr abends 1012 Fuhrwerke und Karren, die hier querten. Die Schranken wurden in dieser Zeit 60 mal geschlossen für insgesamt zusammengezählt 2 Stunden und 54 Minuten, der Zeitraum von Schließung bis Wiederöffnung betrug von 11 Minuten bis 20 Minuten. Der Autor ist niemand geringerer als der Stadtbaurat Zenetti, der damit die Staatsbahn zum Bau einer Unterführung bringen will.
Fast auf den Tag genau 2 Jahre später reagiert schon der Magistrat mit einem Beschluss, gestempelt am 16.Dezember 1892, den Bahnübergang an der Rosenheimerstraße ebenso wie den an der Berg-am-Laim-Straße durch eine Unterführung zu ersetzen.
Die Antwort der Staatsbahn kommt prompt am 24.Februar 1893: der Vergleich mit der Berg-am-Laim-Straße sei nicht richtig, dort würden 7 Gleis unterquert, an der Rosenheimerstraße nur 2 Gleise und außerdem sind die Terrainverhältnisse an der Rosenheimerstraße durchaus anspruchsvoller.
Zeitungsausschnitt vom 22.Dezember 1893
Die Staatsbahn spielt dabei auf den kleinen Berg an, den die Rosenheimerstraße Richtung Osten nimmt. Dabei spricht die Direktion der Staatsbahn immer von einer Über- oder Unterführung der Rosenheimerstraße. In einem weiteren Beschluss von 23.März 1893 bekräftigt der Magistrat einstimmig, der Staatsbahn-Direktion weiter eine Unterführung an der Rosenheimerstraße vergleichbar der an der Berg-am-Laim-Straße festzuhalten. Am 13.April 1893 übergibt die Regierung von Oberbayern Bittgesuche der Gemeinden Höhenkirchen, Hohenbrunn und Putzbrunn, die dringend eine Unterführung wünschen. Die Staatsbahn-Direktion ist weiter uneinsichtig und verweist auf Verhandlungen zu einem Gesamtabkommen zwischen Regierung von Oberbayern, dem Magistrat und der Staatsbahn zu verschiedenen Bauprojekten von Brücken und Unterführungen im Rahmen einer Erweiterung des Centralbahnhofs und Ostbahnhofs mit konkreten Finanzierungszusagen. Unterdessen setzt sich die Idee durch, doch eine Unterführung anstelle einer Brücke zu bauen, denn dir maximale Steigung von 3% ließe sich von der Orleanstraße her bei einer Brücke nicht einhalten und würde dort 5% betragen.
Eine Unterführung an der Rosenheimerstraße wird am 29.Juli 1893 mit grob 38.330 Mark kalkuliert und erste Entwürfe werden vom Bauamt gezeichnet und der Staatsbahn abgesegnet.
Der Plan vom Mai 1893 wurde auch fast unverändert umgesetzt. Unser Reitungsausschnitt ist vom 1.März 1894.
Am 6.September 1893 ergeht dann der endgültige Baubeschluss für eine Unterführung an der Rosenheimerstraße. Nebenstehendes Dokument des Plenarbeschlusses auf Wunsch des Oberbürgermeisters zeigt den Umfang des Projekts: die vorgelegten Pläne werden mit den Änderungen das Stadtbauamts umgesetzt. Ferner wird festgelegt, dass das Gesamtbauvorhaben von der Bahnverwaltung umgesetzt wird und der Magistrat der Stadt München einen Zuschuss von 40.000 Mark zahlt, die restlichen Kosten von 250.000 Mark trägt die Staatsbahn-Direktion.
Schließlich wird 1894 das Projekt tatsächlich umgesetzt und nun hat die Rosenheimerstraße ihre Unterführung. Dazu wurden allerdings einige Baulinienänderungen nötig und Grundstücks-Abtretungen.
Kaum ist die Unterführung gebaut, kommt 1895 auch schon die MTAG daher mit Plänen, diese Unterführung doch auch gleich für eine Pferdebahn-Verbindung nach Ramersdorf zu nutzen. Außerdem liebäugelte man mit der gerade eröffneten ersten Strecke der Elektrischen, die jetzt jede Entfernung und Steigung möglich machte. Die Strecke sollte auch gleich bis nach Perlach verlängert werden.
Zurück zur Realität: die Trambahn kam erst am 30.5.1926 nach Ramersdorf: auf der Strecke durch die Rosenheimer Straße wurde eine Schleife vor der Ramersdorfer Kirche gebaut.
Am 5.Mai 1936 fing ein Fotograf die Rosenheimerstraße mit ihrer Unterführung ein.
Den Krieg hat die Unterführung an der Rosenheimerstraße fast unbeschadet überlebt und 1946 rollen auch wieder regelmäßig Personenzüge über die Brücke.
Die Linie 21 auf dem Weg nach Ramersdorf kommt 1954 durch die Unterführung der Rosenheimerstraße
Die Brücke für die S-Bahn wird im Jahr 1970 gebaut. Am 18.10.1980 fährt hier die letzte Trambahn.
Die alte Bahnbrücke von 1894 steht 2012 immer noch tapfer, auch wenn inzwischen ICEs und RailJets drüberbrausen.
Die Linie 24 kommt gerade aus der Unterführung der Rosenheimerstraße auf diesem Farbdia unseres verstorbenen Webseiten-Kollegen Dieter Kubisch.
Bei meinem Besuch 2023 war gerade viel los an der Rosenheimerstraße und der Unterführung unter der Bahn.