Die Schleife am Nordfriedhof
Der Nordfriedhof ist mit 34.000 Grabplätzen einer der Großfriedhöfe der Stadt München. Er liegt an der Ungererstraße im Stadtteil Schwabing-Freimann. Der Friedhof wurde 1884 von der damaligen Gemeinde Schwabing errichtet. Der Friedhof hat eine Aussegnungshalle, eine Leichenhalle und eine Mauereinfriedung, welche zwischen 1896 und 1899 vom Stadtbaurat Hans Grässel entworfen wurden. 1962 kam noch eine Urnenhalle vom Architekten Eugen Jacoby hinzu.
Alte Stadtpläne mir Liegenschaften weiter draussen sind schwer zu bekommen oder in den Archiven einzusehen, es sei denn, es sind karten aus dem Steuer-Kataster, das heißt, die Grundstücke sind mit Hausnummern & Namen der Besitzer verzeichnet. Damit gingen dann die Steuereintreiber herum und machten Hausbesuche. Für uns Geschichts-Wühler oft ein Glücksfall, nicht so geografisch relevante Ortsteile im 19. Jahrhundert kartographiert zu sehen.
Die Karte aus dem Jahr 1891 noch vor der Errichtung des Nordfriedhofs zeigt dessen spätere Lage (grün) in etwa und die damals operierende Ungererbahn (blau) zum gleichnamigen Bad von der Münchner Freiheit aus. Die Konzession der Ungererbahn war befristet bis zum Start der städtischen Pferdetrambahn durch die Ungererstraße.
Die Aussegnungshalle des Nordfriedhofs wurde 1896 gebaut und war nun direkt am Endpunkt der neuen Pferdetrambahnlinie durch die Ungererstraße.
Zeitgeschichte tut manchmal weh: beide Bilder zeigen die Ungererstraße: das linke Bild ist auf der Höhe Fröttmaningerstraße entstanden, also ab den Nordfriedhof stadtauswärts: eine verträumte Landstraße Richtung Freising. Vom gleichen Standpunkt das Bild darunter etwas nach links geschwenkt der Blick Richtung Israelitischen Friedhof.
Für die Trambahn wurden nun die alten Alleebäume geopfert. Wo die alte Ungererbahn eingleisig verkehrte neben den Allee-Bäumen auf dem Privatgrund des H. August Ungerer, wurde Platz geschaffen für die zweigleisige Strecke. Das rechte Bild ist auf der Höhe der heutigen Kreuzung mit dem Mittleren Ring entstanden, im Hintergrund die soeben errichtete Erlöserkirche an der Münchner Freiheit.
Dank den waghalsigen Ballonfahrern des Königlichen Militärs gibt es eines der ersten Luftbilder von München genau von dieser Situation aus dem Jahr 1895: Die Ungererstraße ist bereits abgeholzt, die Trasse der ehem. Ungererbahn gut zu erkennen. Das Gebiet zwischen Kunigundenstraße und Ungererstraße ist bereits parzelliert und das Schloss Biederstein mit seine damaligen See dominiert die Szenerie (heute die Unterführung des Isarrings zum Kleinhesseloher See führend).
Am 17.07.1895 ging die Strecke durch die Ungererstraße zwischen Feilitzschstraße und Würmkanal als Pferdetram-Linie in Betrieb, die Bauzeit war vom 7.6.1895 – 15.7.1895. In dem Gleisplan vom April 1895 ist auch noch die elektrische Ungererbahn eingezeichnet, die mit dem ersten Betriebstag der Pferdebahn eingestellt wurde, wie es vertraglich vereinbart war.
Am 9.10.1900 wurde die Strecke in der Ungererstraße zwischen Würmkanal und der neuen Aussegnungshalle um ca. 100 m verlängert. Das deutet darauf hin, dass diese Trambahnstrecke gut angenommen wurde.
Der elektrische Betrieb begann am 19.Februar 1900 auf der Strecke Ungererstr. zum neuen Nordfriedhof (Südportal) der Baubeginn der Elektrifizierung war der 9.Juni 1899.
Anfang des 20.Jahrhunderts waren die Trambahnen das einzige Verkehrsmittel für die normalen Bürger. Besuche auf dem Friedhof gehörten zu den Standartwegen. Da aber die Friedhöfe damals weit vor der Stadt lagen, waren die Trambahnverbindungen sehr wichtig wie die zeitgleich in Betrieb genommenen Verbindungen zum Ostfriedhof, Waldfriedhof und Westfriedhof. Da zusätzlich mit den modernen A-Triebwagen auch Beiwagen mitgeführt werden konnten, waren Hinterstellgleise an den Endpunkten der Strecken unumgänglich. So begann man recht schnell mit Planungen von Hinterstellgleisen auch am Nordfriedhof. Da diese Gleise dem fließenden Verkehr auf der Ungererstraße Richtung Freising im Weg waren, versuchte man die Gleise seitwärts zu legen. Dazu gab es auch Grafik, wo diese Schienen liegen könnten.
Ab dem 19.02.1900 bis 16.05.1908 verkehrte die Linie 3 zeitweise nicht direkt vom Nordfriedhof in die Stadt, sondern pendelte nur bis Münchner Freiheit und man musste dort umsteigen.
Noch eine Besonderheit wies diese Strecke durch die Ungererstraße seit 1901 auf: auf Höhe der Hollandstraße kreuzte die Trambahntrasse das Industriegleis der Maffei-Werke in der Hirschau. Hier wurden hunderte Lokomotiven ausgeliefert. Heute ist diese Furt noch gut in der Bebauung zu sehen. Das Kreuzungsgleis wurde erst beim Bau der U-Bahn und Auflassung der Trambahnstrecke entfernt.
Der Vergleich der Situation 1910 und 2020: der damals vor den Toren der Stadt liegende Friedhof ist heute voll in der Stadt integriert.
Im Frühjahr 1910 steht der A-Tw 268 der Linie 10 mit Personal am Nordfriedhof. Links ist das Schild der Gärtnerei Brandl zu sehen, die heute noch an dieser Stelle arbeitet und hinter der Trambahn die Baustelle mit Absperrung für die Verlängerung der Trambahn zum neuen Israelitischen Friedhof. Die alte Allee der Ungererstraße ist noch gut zu erkennen, wird aber bald verschwinden.
Am 21.3.1910 geht die Strecke über den Nordfriedhof hinaus auf der Ungererstraße zwischen neuem Nordfriedhof (Aussegnungshalle) und neuem Israelitischer Friedhof mit einer Länge von 800 m nach einer Bauzeit vom 28.2.1910 bis 21.3.1910 in Betrieb.
Am 29.10.1912 wird nun die erste Schleife am Nordfriedhof / Echinger Straße gebaut und in Betrieb genommen. Dadurch sind nun Fahrten der Trambahn mit Beiwagen einfacher zu wenden an dieser Stelle.
Da allerdings auch 1912 der Betriebshof einen halben Kilometer stadteinwärts an der Soxhletstraße in Betrieb ging, gab es schon kurz nach Eröffnung dieser Schleife Planungen, diese Schleife erheblich zu vergrößern.
An der Schleife entstand auch ein Warteraum für die Fahrgäste.
Zwar ist diese Planung aus dem Jahr 1913, allerdings wurde dieser Plan wegen der Kriegswirren des 1.Weltkriegs und der Hyperinflation erst viel später vom 7.April1931 bis 9.Mai1931 umgebaut.
Der TW 189 auf Einrückfahrt der Linie 26 auf der Ungererstraße stadteinwärts mit der Abzweigung in die Soxhletstraße im Hintergrund.
Die Siedlung „Alte Heide“
Eine gute Trambahnverbindung bringt auch neue Stadtentwicklungen mit sich: die Siedlung „Alte Heide“ wurde von 1919 bis 1928 von Theodor Fischer als „Gartenwohnpark“ geschaffen. Auftraggeber war die 1918 von sechs Industriebetrieben und dem „Verein zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse in München e. V.“ (heute: Gemeinnütziger Wohnungsverein München 1899 e.V.) gegründete „Gemeinnützige Baugesellschaft Alte Heide“, die die Schaffung von kleinen Wohnungen für Arbeiter der Großindustrieanlagen im Norden der Stadt zum Ziel hatte. Sie besteht aus 26 in Form des Zeilenbaus angeordnete Wohngebäuden mit jeweils drei Stockwerken (Miet- und Eigentumswohnungen mit jeweils zwei bis fünf Zimmern). Die überwiegende Zahl der Wohnungen hatte eine Wohnfläche von 60 m² mit zwei Zimmern, die in München übliche Wohnküche, WC und Vorplatz sowie eine Loggia. Die gemeinschaftliche Badeanlage im Verwaltungsgebäude bot Wannen- und Brausebäder an.
Ab 1926 plante Fischer ohne äußere Veränderungen die noch zu bauende Wohnungen mit neuen Grundrissen: mit je vier Zimmern, Küche, Speisekammer und Bad, um dem Bedürfnis nach größeren Wohnungen nachzukommen. Aufgrund der Wohnungsnot der zweiten Nachkriegszeit wurden 1949 zwei Dachwohnungen in jeder Zeile eingebaut. Ergänzt wird die Anlage durch eine Schule, eine Villa und einem ehemaligen Laden- und Verwaltungsgebäude. Der Baustil weist Elemente des Historismus und des Jugendstils auf. Zwischen den Gebäuden befinden sich Gärten und ein kleiner Park.
Erbaut von Dezember 1916 bis April 1917 mit einer Baulänge von 1,7 Km wird am 7.4.1917 die Strecke durch die Ungererstraße zwischen neuem Israelitischen Friedhof und nördl. Frankfurter Ring / Eisenbahnnordring in Betrieb genommen.
Im Jahr 1925 wartet ein E-Tw 535 + c-Bw am Nordfriedhof auf seine Fahrt nach Thalkirchen
Der E-Dreiwagenzug mit Tw 571 auf der Linie 6 am Nordfriedhof im Jahr 1926
Nach der Verlängerung der Trambahn nach Freimann verlor die Schleife am Nordfriedhof nach dem Krieg ihre Bedeutung. 1961 wurde dann eine letzte Erweiterung über den Frankfurter Ring hinaus in Betrieb genommen. Fast zeitgleich begannen Münchens U-Bahn-Pläne.
Ab und zu drehten hier die Wagen der E6 vorzeitig um. Geschichte am Rande: hier begegnete ich zum erstem Mal dem TW 24 der Wanderbücherei, die hier einmal die Woche auf dem Parallelgleis in der Schleife stand und mich mit Büchern versorgte. Das Einzugsgebiet war damals die Alte Heide und die Schule an der Fröttmaninger Strasse, – meine Kaderschmiede ab 1960.
Am 1.7.1965 geht eine weiter modifizierte Version der Schleife am Nordfriedhof / Echinger Straße in Betrieb. Die neue Schleife ist nun gegen Uhrzeigersinn befahrbar, mit Überholgleis wie bisher. Der Umbau wurde notwendig, da Strecke weiter stadtauswärts wegen U-Bahnbau aufgelassen wurde.
Am 14.8.1967 wird die Strecke durch die Ungererstraße zwischen Echinger Straße und Schenkendorfstraße aufgelassen wegen des Baus der U-Bahn U 6. Ebenso die Schleife am Nordfriedhof verschwindet am 14.August 1967.
Die letzten Tage der Trambahn 1967 am Nordfriedhof: ein Wagen der Linie 6 fährt über mutige Baustellen-Umleitungen auf behelfsmäßigen Streckenführungen über die Baugrube.
U-Bahn am Nordfriedhof
Da gibt es gleich ein paar Dinge zu klären: eigentlich liegt die Schleife Nordfriedhof nicht am U-Bahnhof „Nordfriedhof“, sondern an der Station „Alte Heide“. Und ursprünglich hiess der U-Bahnhof „Nordfriedhof“ während der Bauzeit noch „Schenkendorfstraße“. Allerdings ist dieser U-Bahnhof geschichtsträchtig: zum einen der Ort des ersten Spatenstichs für die Münchner U-Bahn und ältester U-Bahnhof im Netz der Münchner U-Bahn.
Am 1. Februar 1965 wurde der erste Spatenstich am Bahnhof Nordfriedhof (damals noch als „Schenkendorfstraße“ geplant) in der Ungererstraße vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel und Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel getätigt.
Großer Prominenz- und Presseauflauf im Untergrund: am 07.10.1966 wurde das Richtfest für den ersten Münchner U-Bahnhof gefeiert.
Die Baugrube vor der Aussegnungshalle des Nordfriedhofs in offener Bauweise war 18m tief.
Der Bahnhof Nordfriedhof liegt in Nord-Süd-Richtung unter der Ungererstraße und hat als einziger Bahnhof auf der 1971 eröffneten U6 Seitenbahnsteige, seit 1995 teilt er sich diesen Titel mit Garching-Hochbrück. Sein nördlicher Zugang grenzt unmittelbar an den namensgebenden Friedhof an.
Am 1. Februar 1965 wurde hier der erste Stahlträger des Münchner U-Bahn-Baus vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel und Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel in den Boden gerammt, der dort noch heute besichtigt werden kann. Der Ort des Baubeginns bedeutet eine gewisse Anlehnung an den Ingenieur August Ungerer, der 1886 die erste elektrische Straßenbahn Münchens zwischen der Münchner Freiheit und dem Ungererbad in Betrieb nahm. Über dem U-Bahnhof quert der zeitgleich kreuzungsfrei tiefergelegte Mittlere Ring.
Gestalterisch war der Bahnhof der Prototyp für die Münchner U-Bahn, da seine Gestaltung als Muster für die anderen Bahnhöfe ausgeschrieben wurde. Der siegreiche Entwurf von Professor Paolo Nestler zeichnet sich durch klare Linien aus. Wandpaneele in Grautönen, dunkle Böden und quer zur Fahrtrichtung angeordnete Leuchtstoffröhren, denen durch herabhängende Querschürzen die Blendwirkung genommen werden soll, zeichnen den Bahnhof aus. Ein durchgehendes Linienband an den Wänden in der Linienfarbe der U6 gliedert den Bahnsteigbereich in vertikaler Richtung.
Die einige Jahre orangen Wandpaneele erhielt der Bahnhof erst in den 1990ern, zur Eröffnung waren alle Paneele grau. Bei einer Renovierung im Jahr 2016 wurde dieser Zustand auch wiederhergestellt und alle Wandpaneele in hellgrau gestrichen. Die Stützen in Bahnsteigmitte sowie die tragenden Elemente des Fußgängersteges sind in gelb/ocker gehalten.
Im Rahmen des Aufzugsnachrüstungsprogramms erhielt der Bahnhof zwei Aufzüge: an Gleis 2 führt der Aufzug direkt vom Bahnsteig zur Oberfläche auf der Westseite der Ungererstraße, an Gleis 1 führt der Aufzug nur bis unter die Decke der Bahnsteighalle, von wo ein Fußgängersteg zum Aufzug von Gleis 2 führt, über den man dann die Oberfläche erreicht. Zusätzlich führt an Gleis 1 auch eine Treppe zum Fußgängersteg hinauf.
Der Planungsname dieses Bahnhofs war „Schenkendorfstraße“, ursprünglich sollte der Bahnhof Alte Heide den Namen „Nordfriedhof“ tragen.
© Florian Schütz | https://www.u-bahn-muenchen.de/
Linienchronik Nordfriedhof
Die Linie III (Farbe rot) fuhr ab 17.07.1895 die Strecke von der Barthstraße zum Nordfriedhof bis zum 16.05.1908, teilweise als Pendelbetrieb nur zur Münchner Freiheit. Später gab es ein Comeback vom 01.02.1910 bis 16.04.1910 und vom 04.08.1914 bis 01.05.1925.
Linie 3 zum Nordfriedhof mit C-Tw 461 an der Haltestelle Odeonsplatz auswärts im Jahr 1914
Der erste Betriebstag am Nordfriedhof der Linie 6 war der 17.10.1923 bis zur Streckenstilllegung am 14.08.1967.
Vom 12.März1909 bis 17.Oktober 1923 kam auch ab und zu mal ein Wagen der Linie 10 über die Münchner Freiheit hinaus zum Nordfriedhof.
Der 04.11.1963 war Starttag für die Linie 16 am Nordfriedhof. Schon am 01.11.1964 war wieder Schluss.
Ein G-Tw 675 auf der Linie 16 an der Haltestelle Universität auswärts zum Nordfriedhof am 01.02.1964
© FMTM e.V.
Diese Dokumentation entstand mit der Unterstützung von Peter Hübner, Klaus Onnich, Dieter Kubisch ✟, Florian Schütz und Frederik Buchleitner sowie dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv, dem Staatsarchiv München und besonders dem Stadtarchiv München. Recherchiert, zusammengetragen & umgesetzt hat diese Seite Reinhold Kocaurek.