Jedes Bauwerk hat seine eigene Geschichte und so hat auch dieses Bauwerk ein ganz spezielle Geschichte, die bereits im 19.Jahrhundert beginnt. Man muss sich diesen Landflecken damals als ländliches Vorstadtgebiet vorstellen, hinter Sendling & Thalkirchen liegt noch das Dorf Forstenried und das Schloss Fürstenried, das der bayerische Kurfürst Max Emanuel in den Jahren zwischen 1715 und 1717 als Jagdschloss erbauen ließ. In den davor liegenden Wäldern jagte dann das höfische Volk. Bereits 1854 wurde diese Bahnstrecke vom Centralbahnhof über die Großhesseloher Brücke als Verbindung in den Süden Münchens gebaut und in Betrieb genommen. Doch durch die Ausbreitung Münchens und der technische Fortschritt im ausgehenden 19.Jahrhundert waren Fabrikanten und Fabrikbesitzer auf der Suche nach neuen Standorten. Bevorzug waren natürlich Grundstücke mit Bahnanschluss und hier beginnt unsere Geschichte.
Als erste größere Wasserkraftanlage für die Überlandstromversorgung entstand um 1890 das Isarkraftwerk Höllriegelskreuth (Lkr. München) mit 1.400 kW Ausbauleistung, grade mal 7,5 Kilometer von hier. Die Isarwerke machten Werbung mit Bauplätzen und Gleisanschluss und Elektrizität, wie man es in München nicht haben konnte, da die Stadt München per Gasgarantievertrag und anderer Bedenken keinen Strom erzeugen oder verteilen durfte und mochte. Diese Stellung machte die Isarwerke zum großen Partner bei der Erschließung des Sendlinger Oberfelds direkt an der Grenze des Burgfrieden Münchens und dessen Zugänglichkeit per Straße mit einer Unterführung. Das erklärt die große Hilfsbereitschaft bei der Finanzierung der Unterführung hier.
Die ISARWERKE GmbH
Die Trambahn erschloss dieses Gebiet schon seit dem 28.Juni 1894 mit einer Pferdebahn vom Harras aus bis nach Neuhofen. Allerdings brauchte es noch einige Zeit bis am 11.Dezember 1906, dann schon die Elektrische, bis zur Kreuzung Boschetsriederstraße /Wolfratshauserstraße vorstieß. Die Trambahn spielte bei der Planung dieser Unterführung erstmal keine Rolle.
Das Sendlinger Oberfeld war ein idealer Ort zur Ansiedlung, das hatten schon sehr früh die Isarwerke GmbH gemerkt und sich um die beiden seit 1860 bestehenden Industriebahn-Anschlüsse mit Grundstücken eingedeckt, die teilweise weiterverpachtet wurden. Die Isarwerke waren nun Wortführer hinter dem ersten Antrag von 1896, den Bahnübergang an der Zugangsstraße zu dem neu entstandenen Gewerbegebiet zu erstellen.
Dazu müssen wir ein paar Begriffe klären: Sendling wurde bereits am 1. Januar 1877 eingemeindet. So sehen wir auf der Liegenschaftskarte von 1898 auch die Grenze des Burgfriedens im Norden. Das Sendlinger Oberfeld, über das wir sprechen, gehört aber zu Thalkirchen, das erst zum 1.Januar 1900 eingemeindet wurde, was ein bisschen verwirrend ist. Weiter hatte damals zum Ende des 19.Jahrhunderts dieser über den Bahnübergang zum Gewerbegebiet führende Weg keinen Namen. Er wird manchmal „Weg zum Obersendlinger Industriegebiet“ genannt und später „Fürstenriederstraße“, weil er letztlich zum Schloss Fürstenried führte.
Dieser erste Antrag auf eine Unterführung von 1896 wurde aus Kostengründen abgelehnt, da kein kommunales Interesse bestand. So machten sich die Isarwerke zum Wortführer, um eine Finanzierung über eine Umlage auf die Grundstückspreise der in den Genuss der Verbesserung kommenden Besitzer eine Finanzierung zu sichern.
Nachdem sich das königliche Bezirksamt I und die Lokalbaukommission am 19.August 1897 wohlwollend geäußert hatten, deutete nun der Bürgermeister am 27.Oktober 1897 an, dass er die Pläne des Oberbauamtes und der Generaldirektion der Staatseisenbahn diese Unterführung befürwortet, wenn die westlich des Bahnkörpers gelegenen Grundstücksbesitzer eine Sicherheit oder Bürgschaft in Höhe von 85.000 Mark als Anteil der Baukosten hinterlegen.
Die Isarwerke stimmen dieser Bedingung ohne weiteren Bedingungen zu und bestätigen, diesen Betrag ob ihrer guten Geschäftslage vorzustrecken und dann selbst bei den Betroffenen einzusammeln. Weiter sind sie mit einer 2,5% Steigung der Unterführungszufahrten einverstanden, die deutlich unter den Steigungen liegt, die innerstädtisch bisher in München mit 3% und 3,5% ausgeführt wurden. An dieser Stelle gab es nie eine Diskussion ob Brücke oder Unterführung, da Brücken immer eine Gewichtsbegrenzung haben und diese bei Unterführungen wegfällt, was aber höhere Baukosten verursacht. Bei einer Zufahrt zu einem Industriegebiet mit Maschinenfabriken ist nun eine hohe Achslast der Fuhrwerke zu erwarten, was eine Unterführung mit sanften Rampen alleine sinnvoll erscheinen lässt.
Den Plan vom königlichen Bauamt wollen wir hier natürlich nicht unterschlagen: Die Planung war an dieser Stelle relativ einfach, weil die Böschungen nur wenige unbebaute Grundstücke betraf. Allerdings musste für das Industriegleis, das hier parallel zur Hauptbahnstrecke verläuft, eine eigene Brücke errichtet werden.
Allerdings mussten einige Baulinien zurückgenommen werden, um eine breite Zufahrtsstraße von und zu den Rampen zu ermöglichen.
Der Katasteramts-Auszug des Sendlinger Oberfeldes zeigt die neuen Baulinien und damit die Entstehung der späteren Boschetsriederstraße. Die erste große Querstraße ist die projektierte Hofmannstraße, am Farbübergang auf cyan verläuft in etwas heute die Aidenbachstraße. Die 36 im Plan markierten betroffenen Grundstückseigentümer wurden am 31.Januar 1898 in einer Liste zusammengeführt und durchkalkuliert und schließlich kam der Betrag von 29 Pfennigen pro qm heraus, der als „Unterführungsabgabe“ die geforderten 85.000 Mark Brücken-Summe ergeben soll.
Ich habe kein anderes Bauwerk bisher in München gefunden, das so von Privatleuten gemeinschaftlich finanziert wurde. Die Isarwerke haben dabei die Rolle übernommen, die einzelnen Verpflichtungserklärungen van allen 36 betroffenen Grundstücksbesitzern einzuholen.
Am 24.Februar 1898 bestätigt das Bezirksbauamt, dass nun der Vertrag mit der Generaldirektion der Staatsbahn erstellt werden kann, wenn der Betrag von 85.000 Mark als Sicherheit von den Isarwerken hinterlegt sei.
Am 20.Mai 1898 ist dann alles soweit geklärt und auch die Finanzierung steht.
Mit der Zustimmung des königlichen Bauamtes vom 26.September 1898 sind die Baupläne abgesegnet und Zustimmung vom Magistrat und Bezirksbauamt, der Gemeinde Thalkirchen und der Generaldirektion der Staatseisenbahn, – jetzt kann die erste privat finanzierte Unterführung in München gebaut werden.
Allerdings will das königliche Bauamt 29.November 1898 von den Isarwerken im Vorfeld geklärt haben, wer bei dieser privat finanzierten Unterführung den Unterhalt der Straße und Gehsteige und der Entwässerung übernimmt & finanziert. Dafür springt die Gemeinde Thalkirchen ein. Weiter muss die Genehmigung für die Aufhebung des Bahnübergangs am Kühweg, etwas weiter nördlich in den Plänen zu sehen, bei der Staatsbahn beantragt werden.
Nach der Frage vom 26.Dezember 1898 vom Bezirksamt München I an das königliche Oberbahnamt, wann der Bau begonnen werden kann. 1899 beginnen die Bauarbeiten und bereits im Mai 1900 wird vereinbart, wer die Kosten der Pflasterung der Auffahrten übernimmt, da die Isarwerke auf hochwertiges Material bestehen für den reibungslosen Betrieb des Verkehrs in der Zukunft.
Am 10.Juni 1900 verkündet das königliche Oberbahnamt, dass nächste Woche die Unterführung der Fürstenriederstraße in Benutzung gehen kann.
Am 1. Januar 1900 wird das Dorf Thalkirchen wird nach München eingemeindet. Im gleichen Jahr wird die Unterführung fertig. Der Weg, der erst Fürstenriederstraße hieß, und an der von 1902 bis 1904 gebauten Volksschule vorüberführt, wird ab 1900 Boschetsriederstraße genannt .
„Münchner neueste Nachrichten“ vom 7.November 1900.
Unser Bild zeigt die Grundschule an der Boschetsriederstraße im Jahr 1916 schon mit der Trambahnstrecke und ganz recht sieht man die Bahnbrücke.
Bei den Planungen 1905 für eine Verlängerung der Trambahn auf das Sendlinger Oberfeld gab es schon die Straßen-Unterführung der Boschetsriederstraße. Allerdings vergeht immer eine Zeit von den ersten Planungen bis zur Umsetzung. Auf dieser Strecke hier waren vor allem Kalkulationen, die die Rentabilität dieser Strecke anzweifelten. So begann später der Betrieb auch nur mit Pendelwagen von der Wolfratshauserstraße zum Industriegebiet auf dem Sendlinger Oberfeld.
Erst am 16.4.1911 ging die Strecke durch die Boschetsriederstraße ab Wolfratshauser Straße endlich bis Hofmanstraße als zweigleisige Neubaustrecken mit einer Länge von 900 m in Betrieb. Baubeginn war der 19.12.1910 und wurde auch deshalb nötig, weil hier ab 1912 der neue Betriebshof 6 entstehen sollte. Die Anlage der Strecke war von vorne herein für den elektrischen Betrieb ausgelegt.
Unser Bild ist datiert mit 1955 und zeigt daher sogar noch die Doppeloberleitung des O-Bus, der zur Wolfratshauserstraße fuhr. Hier kann man auch gut sehen, dass es sich eigentlich um 2 Brücken handelt, die der Hauptbahnstrecke und die des aufgelassenen Industriegleises in das Sendlinger Oberfeld.
Am Wochenende des 15./16.Juni 1985 wird die alte damals 86-jährige Brücke durch eine moderne Betonbrücke ersetzt. Für dieses Wochenende wird der Trambahnbetrieb von Samstag 15.45 Uhr bis Sonntag 6.30 Uhr unterbrochen und die S7 durch Ersatzbusse ersetzt.
Der M5-Tw 2612 + m4-Bw 3496 kommt am 8.Mai 1991 aus derr Boschetsrieder-Unterführung auswärts auf seiner Fahrt nach Fürstenried1
Wenn ich meinen Chef-Archivar Klaus Onnich frage, ob er Bilder von unseren Trambahnwagen an der Unterführung der Boschetsriederstraße hat, lächelt er nur und überhäuft mich mit Bildern: beginnen wir mit dem M5-Tw 2613 + m5-Bw 3538 in der Boschetsrieder-Unterführung auswärts am 11.Februar 1991.
Mit der Einstellung des Betriebs auf der Strecke durch die Boschetsriederstraße am 01.06.1991 gab es auch keine Trambahn mehr hier, die durch diese Unterführung fuhr.